Verlustangst

Wie ich gelernt habe mit meiner Verlustangst umzugehen und sie zu überwinden

“Beherzt ist nicht, wer keine Angst kennt, beherzt ist, wer die Angst kennt und sie überwindet.” – Khalil Gibran, Philosoph

Es fällt mir nicht leicht darüber zu schreiben und so viel von mir preiszugeben. Meine Umfrage bei Instagram hat mir gezeigt, dass dieses Thema nicht nur mich sehr beschäftigt, sondern, dass viele von euch auch unter Verlustangst leiden. Und genau deshalb möchte ich euch von mir erzählen und davon berichten, wie ich gelernt habe, mich nicht mehr von meiner Angst bestimmen zu lassen. Das Thema Verlustangst begleitet mich schon so viele Jahre. Viele Jahre habe ich sie unbewusst mit mir herumgetragen und meine Angst wurde durch verschiedene Erlebnisse immer größer. Ich möchte heute darüber schreiben und das offen mit euch teilen, weil ich glaube, dass es dem ein oder anderen helfen kann und wenn es nur deshalb ist, weil man mann merkt, dass man damit nicht allein ist.

Ich glaube, dass jeder mit Ängsten zu kämpfen hat. Bewusst oder unbewusst. Diesen Gefühlszustand von Beklemmung und Bedrückung habe ich in ganz verschieden Lebensbereichen und Situationen schon empfunden. Ich bin keine Psychologin, kein Therapeut oder Arzt. Ich kann euch hier nur in meine Geschichte und meine Erfahrungen mit hinein nehmen. Wenn man unter stark ausgeprägten Ängsten leidet, dann sollte man meiner Meinung nach dringend professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und das ist absolut nichts, wofür man sich schämen müsste!

Was ist die Ursache meiner Angst?

Ängste können von Erfahrungen, Prägungen, Gewohnheiten oder frühkindliche Erlebnissen verursacht werden und sind Folge der Art und Weise wie wir die Dinge, die wir wahrnehmen, bewerten.

Ich glaube, dass eine Ursache meiner Verlustangst in meiner Kindheit liegt. Wenn ich mein bisheriges Leben reflektiere, dann stelle ich fest, dass ich meine ersten Panikattacken bekam, nachdem meine Eltern sich scheiden ließen. Ich war zum Zeitpunkt 9 Jahre alt, konnte das ganze aber erst im Alter von 11 Jahren wirklich realisieren. Die Erkenntnis, dass meine Eltern nicht mehr zusammen waren, traf mich so hart, dass ich meine ersten Panikattacken bekam. Ich konnte nicht mehr allein sein, hatte keinen Appetit mehr und an Schlaf war auch kaum noch zu denken. Ich musste immer mindestens eine Person um mich herum haben, dann war alles okay. Sobald ich aber allein war, bekam ich Panik und konnte mit der Situation allein zu sein überhaupt nicht umgehen. Ich bekam kaum Luft und hatte das Gefühl, dass ein dunkler Schatten über meinem Herzen liegt. Das Wort “Beklemmung” beschreibt wohl am Besten das Gefühl, welches ich in diesen Situationen hatte. Meine Mama schickte mich daraufhin zu einer kleinen Gruppentherapie mit anderen Scheidungskindern. Das hat mir damals sehr geholfen. Dadurch wurden meine Angstzustände nach und nach weniger und ich konnte nach einer Weile auch wieder besser allein mit mir sein. Ich denke, dass der “Verlust” meines Vaters diese Angst in meinem Kopf ausgelöst hat. Ich mache ihm dafür keine Vorwürfe. Jeder hat es verdient glücklich zu sein und wenn mein Vater es nicht mehr war, dann war es vielleicht der nötige Schritt. Allerdings kann ich nicht leugnen, dass ich denke, dass darin eine Ursache meiner Angst zu finden ist.

Diese schmerzhafte Erfahrung allein hat meine Verlustangst aber nicht so groß werden lassen. Es ist eine Sammlung von Erfahrungen und Erlebnissen, die dazu geführt haben, dass meine Angst immer größer wurde. Das Ende und der Zerbruch einer für mich tragenden und essentiellen Freundschaft, eine ungesunde Liebesbeziehung, allerlei Zurückweisungen, all das sind Faktoren die meine Angst über die Jahre genährt haben.

Wie wirkt sich Verlustangst auf meine Beziehungen aus? Wie habe ich erkannt, dass ich unter Verlustangst leide?

Meine Verlustangst wirkte sich bisher nicht nur auf meine Beziehung zu meinem Mann aus, sondern auch auf die Beziehung zu meinen Eltern, meinen Geschwistern und Freunden. Also eigentlich auf alle Menschen, die ich liebe und die mir wichtig sind.

Bei meinem Mann Florian wirkte sich meine Verlustangst so aus: Zu Beginn unserer Beziehung war ich eine selbstbewusste junge Frau, die sich nicht viele Sorgen machte. Nach einiger Zeit wurde dann aus der Phase der Verliebtheit eine ernsthafte und tiefe Beziehung. Ich wusste, dass Florian DER Mann für mich ist und genau das machte mir Angst. Mit der Zeit kamen die ersten beklemmenden Gefühle in mir hoch. Ich fühlte mich immer unsicherer, je länger wir zusammen waren und je intensiver unsere Liebe füreinander wurde. Ich bekam Angst davor ihm nicht mehr zu genügen. Ich hatte Angst von ihm verlassen zu werden und bekam davon richtige Panikattacken. Ich weiß noch, dass ich zu meiner besten Freundin oft sagte, dass ich Florian nicht verdienen würde. Das machte mir Angst. Aus diesen beklemmenden negativen Gefühlen, Gedanken und Empfindungen heraus, legte ich ein teilweise sehr provokantes Verhalten an den Tag. Ich wollte Streit provozieren, um deutlich zu machen, dass ich zu schlecht für Florian wäre und ich verhielt mich genau so, dass meine größte Angst sich bewahrheiten musste. Ich gab meiner Angst nach und ließ mich von ihr bestimmen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Florian das nicht zugelassen hat und wir immer über alles miteinander sprechen konnten. Ich habe mit der Zeit ein starkes Vertrauen ihm gegenüber entwickelt und meine Angst, dass ich ihm nicht genügen könnte wurde immer schwächer. Das ist aber leider nicht das Ende dieser Geschichte. Meine Angst von ihm verlassen zu werden wandelte sich dann in die Angst, dass Florian etwas schlimmes passieren könnte, dass er einen Unfall haben könnte, er krank werden und sterben könnte. Und diese Angst löste wieder Panikattacken aus. Ich hatte vor allem nachts so schlimme Alpträume, dass ich manchmal schweißgebadet und tränenüberflutet aufwachte.

Meine Geschwister, ich habe zwei ältere Brüder, waren in all den Jahren meiner Kindheit und Jugend alles für mich. Wir drei waren ein eingeschworenes Team, unzertrennlich und Best Friends. Ich glaube, dass die Scheidung unserer Eltern uns extrem zusammengeschweißt hat. Und umso “schlimmer” war es dann für mich, als meine Brüder ihre ersten Freundinnen hatten. Damit spielte ich nicht mehr die vorrangige Rolle in ihrem Leben und meine Verlustangst kam wieder an die Oberfläche. Bei meinen Brüdern wirkte sich meine Angst so aus, dass ich, ihre Partnerinnen nicht akzeptieren konnte. Ich sah in ihnen die Personen, die mir meine Brüder wegnahmen und das war unendlich schmerzhaft. Diesen Schmerz ließ ich dann unterbewusst die jeweilige Partnerin meiner Brüder spüren. Das ist absolut unfair und ich bereue mein Verhalten von damals heute auch zutiefst. Damals wusste ich noch nicht, dass mein Verhalten aufgrund meiner Verlustangst unterbewusst verursacht wurde und ich konnte mit dieser Angst auch noch nicht umgehen. Sie bestimmte mich in solchen Momenten der Angst, eine für mich wichtige Person zu verlieren.

Freundschaften. Die Kombination aus Freundschaften und Verlustängsten… Darüber könnte ich wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben. Bei Freundschaften ist es bei mir so, dass ich die eine Freundin, die mich schon seit so vielen Jahren durch sämtliche Lebensabschnitte begleitet und mitgetragen hat, wahrscheinlich für immer haben werde. Sie kennt mich gefühlt in- und auswendig, weiß wie ich ticke, weiß mit meinen Schwächen umzugehen. Aufgrund unserer mittlerweile 14 Jahre langen Freundschaft, in der wir so viel zusammen durchlebt haben, habe ich das Vertrauen, dass sie mich nicht verlassen wird. Das sieht mit allen anderen Freundschaften schon wieder ganz anders aus. Ich habe große Probleme damit, Menschen wirklich an mein Herz zu lassen. Ich habe Angst davor, mich jemandem zu öffnen und dann doch enttäuscht oder fallen gelassen zu werden. Es fällt mir extrem schwer echte Bindungen einzugehen. Oberflächliche Freundschaften sind absolut kein Problem. Ich liebe Menschen, ich liebe es unter Menschen zu sein und bin eigentlich ein sehr offener und herzlicher Mensch. Aber tiefe Bindungen, tiefe Freundschaften, das ist etwas wonach ich mich unendlich sehne, wo mir meine Verlustangst aber extrem den Weg versperrt und eine große Schutzmauer um mich herum errichtet hat.

Jetzt wisst ihr schon mal, wie sich meine Verlustangst auf meine Beziehungen ausgewirkt hat. Dass ich unter Verlustangst leide, habe ich erst dadurch herausgefunden, dass ich angefangen habe, meine Handlungen zu hinterfragen und zu reflektieren. Ich habe auf mein Leben geschaut und mich gefragt, warum ich in zwischenmenschlichen Beziehungen solche Schwierigkeiten habe, jemanden wirklich an mich heranzulassen. Durch Reflexion und Hinterfragen seiner eigenen Handlungen kann man echt eine Menge lernen und auch nur so etwas verändern in seinem Leben. Das führt mich auch zum nächsten Punkt.

Was habe ich gemacht, um meine Verlustangst in den Griff zu bekommen?

Ganz ehrlich, das habe ich bis heute nicht. Ich glaube tatsächlich, dass diese Angst immer ein kleiner Teil von mir sein wird. Aber ich kann darüber bestimmen, ob mich diese Angst bestimmt. Ich kann darüber bestimmen, wie groß der Teil ist, den sie einnimmt. Ich kann diese Angst stoppen und gar nicht erst ausbrechen lassen. Ich kann verhindern, dass ich mich hineinsteigere und ich kann verhindern, dass die Angst mich daran hindert mein Leben glücklich zu leben.

Für mich war es der erste Schritt, dass ich für mich erkannt habe, dass ich unter Verlustangst leide. Ich musste es mir selbst erst einmal eingestehen. Dann habe ich als nächsten Schritt die Ursache meiner Angst gesucht um zu erkennen, woher diese Angst überhaupt kommt. Das ging nur durch Reflexion meiner bisherigen Lebensgeschichte.

Als ich soweit war, habe ich angefangen offen darüber zu sprechen, dass ich diese Angst in mir trage. Ich habe mich meinen Liebsten anvertraut und geöffnet. Ich denke, dass das ein sehr wichtiger Teil im Heilungsprozess ist, damit die Menschen, die einem wichtig sind, die vergangenen Taten und Handlungen besser einordnen können und auch zukünftig manches besser verstehen werden. Ich habe diejenigen, denen ich aufgrund meiner Handlungen in der Vergangenheit Schmerz zugefügt habe, um Verzeihung gebeten und ihnen meine Geschichte und meine Empfindungen von damals und von heute offengelegt. Das war nicht leicht für mich, aber so konnte ich mich von dieser Last, die auf meinem Herzen lag, befreien. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen aber auch erstmal mehr mit einem Therapeuten darüber zu sprechen, bevor man sich einem engen Vertrauten öffnet. Ich denke, da spürt jeder selbst ganz gut, was für ihn der richtige Weg ist. Sicherlich ist auch eine Kombination aus beidem nicht verkehrt.

Wenn man aber nicht der Typ ist, der gleich alles so offen kommunizieren möchte oder sich einfach noch nicht bereit dazu fühlt, dann könnte man auch erstmal damit starten, seine Geschichte aufzuschreiben. Schreiben hilft mir persönlich sehr, um zu reflektieren und um zu verarbeiten. Beim Schreiben selbst fallen mir oft noch viele Sachen ein, die ich vergessen bzw. in mein Unterbewusstsein verbannt hatte. All das, angefangen von der Scheidung meiner Eltern und meinen Gefühlen diesbezüglich aufzuschreiben, war für mich ein elementarer Schritt, um meine Angst zu überwinden.

Offene Kommunikation und das Schreiben über meine Angst haben dem ganzen irgendwie den Schein genommen unbesiegbar zu sein. Ich habe dadurch ein Gefühl von innerer Befreiung erlebt. Diese zwei Methoden haben meiner Angst sehr viel Macht genommen.

Die dritte Sache, die mir geholfen hat und immer wieder hilft ist, dass ich Gott von meiner Angst und meinen Sorgen erzählen kann. Ich weiß nicht, ob du gläubig bist. Ich weiß nicht, ob du schonmal Erfahrungen mit Kirche oder dem Glauben gemacht hast und ob diese Erfahrungen positiv oder negativ waren. Ich kann dir hier nur von mir erzählen und dir sagen, dass ich aus meinem Glauben an Gott eine unglaubliche Stärke und Ruhe beziehe. Ich kann ihn jederzeit, wenn ich das Gefühl habe, dass mich Angst und Panik überkommen, um Hilfe bitten. Ich kann meinen liebenden Papa im Himmel darum bitten, dass er mir innere Ruhe und Stärke gibt, um die, von Verlustangst gesteuerten, Gedanken stoppen zu können und mich stattdessen auf andere, positive Dinge fokussieren zu können. Manchmal schaffe ich das eben nicht aus eigener Kraft. Es kann sein, das du mit dem christlichen Glauben nichts anfangen kannst, dann gibt es vielleicht etwas anderes, das dir Ruhe und Kraft geben kann. Für mich persönlich ist es ein Geschenk, dass ich daran glauben darf, einen liebenden Gott zu haben, der mir helfen will zu heilen und zu dem ich jederzeit kommen kann, der einfach immer für mich da ist.

Seitdem ich meiner Angst bewusst bin und aktiv deren Ursachen aufarbeite und bekämpfe, habe ich nie wieder einen Alptraum gehabt von dem ich schweißgebadet und tränenüberflutet aufgewacht bin, weil Florian oder auch meine Mama in diesem Traum gestorben sind. Sicherlich überkommt mich immer mal ein Anflug dieser Angst und es fällt mir nach wie vor schwer Bindungen einzugehen, aber meine Verlustangst ist sehr viel schwächer geworden. Sie bestimmt mich nicht mehr.

Lass mich dir noch eine Sache mitgeben. Ich glaube, dass man seine Angst nur überwinden und frei von ihr werden kann, wenn man sich seinen Ängsten und deren Ursachen stellt und sie angeht. Es ist schmerzvoll. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Sehr sogar. Aber es ist viel schmerzvoller mit ihnen zu leben. Ich will dich also ermutigen, dich mit deinen Ängsten zu konfrontieren, damit du angstfrei und glücklich werden kannst.